Dialog der Religionen

Dialog der Kulturen?

Die Bürgerschaftsfraktion der Hamburger SPD hat für den 30. November 2014 in den Festsaal des Hamburger Rathauses geladen. Zum „Dialog der Kulturen“, wie es auf der Einladungskarte heißt.

Die Hamburger SPD lädt ins Rathaus zum „Dialog der Kulturen“. Klingt gut, aufgeschlossen, modern. Wer in der Stadt lebt, weiß ja, wie sehr sich ihr Gesicht in den vergangenen Jahrzehnten geändert hat: Beinahe jeder dritte Hamburger (30,8 Prozent) hat einen „Migrationshintergrund“, bei den jungen Hanseaten unter 18 sogar 46,7 Prozent. Die Eltern oder Großeltern kamen aus fast allen Ländern der Welt, die meisten aus der Türkei, Russland und Staaten der ehemaligen Sowjetunion, Polen. Und jeder zugewanderte Bürger hat ein Mehr oder Weniger seiner angestammten Kultur mit sich gebracht. Die Freie und Hansestadt Hamburg hat sich längst zu einem Schmelztiegel der Kulturen entwickelt.

Und Hamburgs SPD, genauer ihre Fraktion in der Bürgerschaft, wo sie bekanntlich über eine satte Mehrheit verfügt, lädt diese Vielfalt der Kulturen nun zum Dialog ins Rathaus ein. Ein löbliches Anliegen, wie man denkt, besonders, da die SPD in der Stadt alleine die Regierung stellt und in einem so bunten Völkergemisch für den lebendigen und friedlichen Austausch der Bürger untereinander verantwortlich ist.

In den folgenden drei Kästen ist das Original der Einladung wiedergegeben.
(das Bild oben ist eine Fälschung!)

Wer sich das Einladungskärtchen genauer besieht, wird indes in seiner Hochachtung gegenüber sozialdemokratischer Beflissenheit ziemlich enttäuscht. Der vorgeblich angestrebte „Dialog der Kulturen“, er entpuppt sich als Riesenmissverständnis. Schon die poppige Grafik auf der Karte entlarvt es. Denn über der Silhouette des Rathauses schwebt groß das Christenkreuz. Und dem Kreuz zur Rechten und zur Linken, immerhin fast auf gleichem Niveau, prangen die Signets der anderen Weltreligionen, vom buddhistischen Lebensrad über den islamischen Halbmond bis hin zum Tor des japanischen Shintō-Glaubens.

Also doch nicht Dialog der Kulturen? Stattdessen Religionen unter sich. Wie soll man das werten? Ist es eher Unverstand oder vielleicht eher opportunistische Parteipolitik, weil in Hamburg im Februar gewählt wird? Passt das wirklich noch ins 21. Jahrhundert, wenn man die Kulturen der Völker allein auf religiöse Anschauungen reduziert? Wie müssen sich die Anhänger der anderen Religionen, etwa der Bahai, Jesiden oder Sikhs fühlen, die wie noch rund 100 weitere Glaubensgemeinschaften ebenfalls in Hamburg vertreten sind? Wir müssen draußen bleiben. Kultur, das sind allein die – so genannten – Weltreligionen. Oder wie soll man das sonst verstehen?

Und wie schmerzlich müssen diese Verstümmelung des Kulturbegriffs erst die Menschen empfinden, die gerade vor den Nachstellungen religiöser Eiferer in ihrer Heimat, etwa aus dem Irak, aus dem Iran, aus Syrien oder Saudi-Arabien zu uns geflohen sind? Ganz zu schweigen von der Mehrheit der Hamburger Bürger, die bekanntlich mit Religion, welcher auch immer, überhaupt nichts am Hut haben. Doch unter dem schicken Slogan „Dialog der Kulturen“ scheint die Regierungspartei allein mit ausgesuchten Religionsvertretern kungeln zu wollen.

Den Konfessionsfreien und Laizisten in der eigenen Partei, die sich nach dem Grundgesetz auf eine Trennung von Staat und Religion berufen, verweigert die SPD dagegen bislang beharrlich einen eigenen Arbeitskreis. Der parteieigene „AK Kirchen und Religionsgemeinschaften“ dagegen darf damit werben, dass in seinen Reihen neben den „Mitgliedern vieler Religionsgemeinschaften“ sogar „Personen ohne Parteibuch“ Mitglied sind. Wäre die SPD nicht gut beraten, besser in einen „Dialog mit den Weltanschauungen und Religionen“ einzutreten? Wobei sie sich einmal ihrer eigenen säkularen Tradition erinnern sollte. Lang ist’s her, da fühlten sich doch die Sozialdemokraten den Werten der Aufklärung und Emanzipation von „höheren Wesen“ verpflichtet. Heute, so scheint es, ist die Hamburger SPD auf dem Weg zu einer besseren CDU.

Dass die Ersetzung von Kulturen durch Religionen für die Hamburger SPD  durchaus kein Missverständnis ist, zeigt auch die Tatsache, dass sie neben einem Vertreter der Jungen Islam Konferenz vor allem eine Referentin der Akademie der Weltreligionen zum Gespräch geladen hat. Und in der Einladung heißt es: „Die SPD-Bürgerschaftsfraktion lädt Sie herzlich ein zu STADT, RELIGION UND VIELFALT“, was immer das nach so viel Begriffsverwirrung bedeuten mag.

Nach einem weiteren Hinweis auf die Verträge, die die Stadt Hamburg unter der CDU-Regierung mit den beiden Großkirchen und dann unter SPD-Regie mit verschiedenen muslimischen Verbänden und der Alevitischen Gemeinde geschlossen hat, heißt es endlich in Klardeutsch, was die SPD unter dem „Dialog der Kulturen“ wirklich versteht: „Die Vielfalt der Religionen ist unzweifelhaft eine große Bereicherung für unsere Stadt, bietet aber auch Stoff für Auseinandersetzungen. WIR WOLLEN MIT Ihnen darüber diskutieren, was es für unser Gemeinwesen bedeutet, wenn verschiedene Religionen und Religionsausübungen (!?) gleichzeitig gelebt werden und einander begegnen.“

Fazit: Die Kirchen leeren sich im rasanten Tempo. Noch vor einem Jahr titelte das Hamburger Abendblatt verzweifelt (siehe Ausriss): „Hamburger Kirchen verlieren 800 Mitglieder pro Monat“. Da will die Hamburger SPD, so hat es den Anschein, entschieden gegensteuern. Vor lauter Glockengeläut scheint man den Ruf der Aufklärung ganz und gar vergessen zu haben.

Und hier gibt es noch einen offenen Brief von Burger Voß zu diesem Thema.


Nachtrag:

Ein Sprichwort sagt: „Kommst du vom Rathaus, bist du klüger“. Inzwischen, nach dem Besuch der SPD-Veranstaltung am gestrigen Sonntag, muss selbstkritisch festgestellt werden:

Okay, wir mussten nicht draußen bleiben, waren als Gast zugegen! Auf dem Podium sprachen wie angekündigt zwei Vertreter von (wie man bei der Akademie der Weltreligionen herausgefunden haben will) 600 Religionsgemeinschaften in Hamburg. Die Vertreter der Konfessionsfreien waren nicht vorgesehen, wurden aber immerhin von Staatsrat Christoph Krupp in seiner Begrüßungsansprache als existent erwähnt. Ein Fortschritt? Bislang werden im Rathaus allein die Religionsvertreter der Religionsgemeinschaften hofiert, der Dialog mit den Konfessionsfreien und Säkularen steht weiterhin aus.

Bleibt dennoch positiv zu erwähnen: Wenigstens „an der Basis“ gab es fruchtbare und freundliche Gespräche. Und, aha! Unter den Bürgerschaftsabgeordneten der SPD, auch mit migrantischem, sogar islamischen Hintergrund gibt es bekennende Säkulare!
Und es gibt säkulare Sozialdemokraten, die auch das Gespräch mit den Konfessionsfreien suchen. Die Säkularen in der SPD neigten allerdings nicht dazu, so hieß es, sich als Gruppe zu organisieren. Das ist bitter, denn die Vertreter des „Arbeitskreises Christinnen und Christen in der SPD“ trumpfen in Hamburg gerne auf. Gleichwohl sollten wir die Kontakte mit den Säkularen in der SPD, den Dialog der Weltanschauungen an der Basis, nicht einschlafen lassen und weiter ausbauen.

Und zum Schluss stecken wir auch gerne ein: Nein, die SPD stellt in Hamburg zwar alleine die Regierung, verfügt aber in der Bürgerschaft nicht über eine „satte Mehrheit“. Akzeptiert: „Wenn von 121 Sitzen 62 auf die SPD-Fraktion entfallen, dann darf man diese absolute Mehrheit getrost als knapp bezeichnen“. Wir danken für den Hinweis.