Aufklärung und Religionskritik – vier Portraits

Die gbs-Hamburg präsentiert vier religionskritische Köpfe, vorgetragen von vier ausgewiesenen Fachleuten:

1. Benedikt Spinoza am 5. Okt. 2017
       mit Dr. Dr. Joachim Kahl
2. Denis Diderot am 19. Okt. 2017
       mit Dr. Volker Mueller
3. Ludwig Feuerbach am 2. Nov. 2017
       mit Helmut Fink
4. Friedrich Nietzsche am 23. Nov. 2017
       mit Prof. Dr. Hermann Josef Schmidt

Die Vorträge mit Diskussion finden jeweils donnerstags um 19 Uhr statt in den
Veranstaltungsräumen der GLS-Bank,
Düsternstraße 10, 20355 Hamburg

HVV: S-Bahn Stadthausbrücke (Ausgang „Herrengraben“) oder U-Bahn Rödingsmarkt

Eintritt frei

Benedikt Spinoza – Philosoph von Weltrang und Türöffner der europäischen Aufklärung

Vortrag und Diskussion mit Dr. Dr. Joachim Kahl

1. Vortrag am Donnerstag, 5. Oktober 2017, 19 Uhr
      in den Veranstaltungsräumen der GLS-Bank, Düsternstraße 10, 20355 Hamburg

Nach seinem Ausschluss aus der Amsterdamer portugiesischen Synagogengemeinde mit dem Großen Bannfluch im Alter von 24 Jahren wegen „schrecklicher Ketzereien“ und „ungeheuerlicher Handlungen“ schloss sich Spinoza (1632-1677) keiner anderen Religionsgemeinschaft an und teilte keinen monotheistischen Offenbarungsglauben mehr. Und doch verfiel er nicht, wie es der gängigen Ketzer- und Apostatenpolemik zufolge hätte geschehen müssen, der Unzucht. Er wurde kein Trunkenbold, kein Betrüger. Seine noble menschliche Art und sein redlicher Broterwerb als Schleifer optischer Gläser erweckten allgemein Erstaunen und Argwohn. Seine bürgerliche Existenz war nicht ernsthaft gefährdet, weil in den Niederlanden Gewissens- und Glaubensfreiheit relativ fest verankert waren. Seine philosophische These „Gott oder Natur“ entthronte den außerweltlichen Himmelsmonarchen und Schöpfergott. Spinoza begründete eine Natur- und Vernunftreligion, die freilich von Anfang an unter allseitigem Atheismusverdacht stand, da sie auf jeden Transzendenzaspekt verzichtete. An die Stelle des Glaubens trat bei ihm die „geistige Gottesliebe“, die Gott in den Dingen aufsuchte und damit die gesamte Wirklichkeit einer empirischen und rationalen Erforschung freigab.

Zur Person Dr. Dr. Joachim Kahl:

Joachim Kahl, geboren 1941 in Köln, Dr. theol. (1967) und Dr. phil. (1975). Vertritt eine Philosophie eines säkularen Humanismus, zu deren Ahnen auch Spinoza zählt. Eigentümlichkeit: Entwicklung einer weltlich-humanistischen Spiritualität. Hauptwerke: „Das Elend des Christentums oder Plädoyer für eine Humanität ohne Gott“ (1968; 1993; 2014) und „Weltlicher Humanismus. Eine Philosophie für unsere Zeit“ (2005). Ständige Ergänzungen, Korrekturen, Aktualisierungen zu allen behandelten Themen sowie Kunstinterpretationen auf der Homepage unter der Rubrik „Texte“, die kostenlos herunter geladen werden können.

www.kahl-marburg.de

Ein bedeutsamer Kopf der Aufklärung in seinem Werden und Wirken: der Philosoph, Enzyklopädist und Schriftsteller Denis Diderot

Vortrag und Diskussion mit Dr. Volker Mueller

2. Vortrag am Donnerstag, 19. Oktober 2017, 19 Uhr
      in den Veranstaltungsräumen der GLS-Bank, Düsternstraße 10, 20355 Hamburg

Denis Diderot (1713-1784) gehört zu den herausragenden Aufklärern Frankreichs, die mit ihren Ideen die Französische Revolution von 1789 geistig mit vorbereitet haben. Mit seinen philosophischen und kulturellen Auffassungen, mit seinem skeptischen  und kritischen Denken stellt er konsequent die unfreien Verhältnisse des „Ancien Régime“ Ludwigs XV. und der unseligen Allianz von Thron und Altar infrage. Besondere Verdienste erwirbt er sich durch die Konzipierung und Herausgabe der „Encyclopédie“ und durch seine natur- und wissenschaftsphilosophischen Schriften und bürgerlichen Dramen.

Die von Diderot konzipierte „Encyclopédie, ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers“ markiert einen Höhepunkt in der Geschichte der Wechselbeziehungen von Philosophie, Wissenschaften und praktischen Bedürfnissen. Dieses grundlegende Werk der französischen Aufklärung erscheint von 1751 bis 1772 in 17 Text- und 11 Bildbänden; von 1747 bis 1758 wirkt Jean Baptiste le Rond d`Alembert (1717-1783) als Mitherausgeber. Doch nur Diderot ist es zu verdanken, dass dieses Werk trotz enormer Angriffe seitens kirchlicher Kräfte und der Monarchie wie auch materieller Schwierigkeiten vollständig bis 1772 erscheint. Die über 150 Mitarbeiter an der „Encyclopédie“, unter ihnen Voltaire, Holbach, Rousseau, Montesqieu, Buffon, Marmontel, Quesnay und Turgot, kritisieren vom Standpunkt der Vernunft alles: Wissenschaft, Naturanschauung, Kunst, Ökonomie, Staatsordnung und Religion. Die „Encyclopédie“ trägt im 18. Jahrhundert maßgeblich zur Systematisierung, Klassifizierung und Verbreitung des menschlichen Wissens bei und dient damit dem wissenschaftlichen und technischen und dem sozialen Fortschritt. Gerade die systematische Darstellung der mechanischen Künste, die Diderot selbst in der Hand hat, wird einem realen Bedürfnis der bürgerlichen Emanzipationsbewegung gerecht, ist sie doch nutzbar für das Erlernen und Lehren verschiedener Techniken und technologischer Vorgänge.

In den 790 „Encyclopédie“-Artikeln, die Diderot selbst schreibt, kommt seine philosophische sowie gesellschafts- und kirchenkritische Haltung zum Tragen. Der Geist der „Encyclopédie“ beeinflusst das „Siècle des Lumières“ bzw. das philosophische Jahrhundert über Frankreich hinaus.

Distanziert ist sein Verhältnis zur Obrigkeit, obwohl er auch von dort vielfach Hilfe erhält, um die Herausgabe der „Encyclopédie“ fortsetzen zu können, z. B. durch den obersten Zensor des Königs, Chrétien-Guillaume de Lamoignon de Malesherbes (1721-1794), oder durch Madame de Pompadour (1721-1764), der einflussreichen Mätresse Ludwigs XV. Wichtige materielle Unterstützung erhält er durch Katharina II. (1729-1796), die er dann auch 1773/74 in Russland besucht.

Zur Person Dr. Volker Mueller:

Dr. phil. Volker Mueller, Jahrgang 1957, lebt in Falkensee (bei Berlin). Studium der Philosophie und ausgewählter Naturwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin. Zeitweilige Mitarbeit an der MEGA²-Edition. Seit 1991 als Philosoph und Sozialpädagoge in NGOs tätig. Mitglied der Internationalen Hegel-Gesellschaft und der Deutschen Gesellschaft zur Erforschung des 18. Jahrhunderts.

Ehrenamtliche Funktionen u. a.: Vizepräsident (1998-2008) und Präsident (seit 2008) der Freien Akademie, Präsident des Dachverbandes Freier Weltanschauungsgemeinschaften (1999-2010) und Vorsitzender des Humanistischen Freidenkerbundes Brandenburg (seit 1995).

Mehrere wissenschaftliche Publikationen vor allem zur französischen Aufklärung des 18. Jahrhunderts, zur Philosophie des 19. Jahrhunderts und zu philosophischen Fragen der Wissenschaftsentwicklung sowie zu ethischen, säkular-humanistischen und bildungspolitischen Fragen der Gegenwart. Bücher u. a.: „Spuren im Wertewandel“ (2002), „Ludwig Feuerbach – Religionskritik und Geistesfreiheit“ (2004), „Der beständige Wandel. Charles Darwin und das Entwicklungsdenken“ (2009), „Denis Diderots Idee vom Ganzen und die ‚Encyclopédie‘“ (2013), „Der Zusammenhang der Wissenschaften und Künste. Diderot und die Aufklärung“ (2014).

Ludwig Feuerbachs Religionskritik

Vortrag und Diskussion mit Helmut Fink

3. Vortrag am Donnerstag, 2. November 2017, 19 Uhr
      in den Veranstaltungsräumen der GLS-Bank, Düsternstraße 10, 20355 Hamburg

Im Vortrag werden zunächst wichtige Stationen im Leben des Philosophen Ludwig Feuerbach (1804-1872) skizziert, der als Theologe begann, dann Hegelianer wurde, sich aber bald auch hiervon abwandte, um statt in Gott und Geist im Menschen und in der Materie die  Ausgangspunkte  philosophischer Erklärungen zu suchen. Zentral in seinem Werk ist die  „Projektionsthese“ für religiöse Glaubensinhalte: Es sind die menschlichen Bedürfnisse und Beschränkungen, die ihnen zugrunde liegen.

Der religiöse Himmel dient nur als Projektionsfläche: „Der Mensch schuf Gott nach seinem Bilde.“ Durch seine Wirkung wurde Feuerbach zu einem Klassiker der Religionskritik, der auch von Theologen ernstgenommen wird.

Zur Person Helmut Fink:

Helmut Fink ist Dipl.-Physiker und säkularer Humanist. Er ist seit April 2017 Vorsitzender der Ludwig-Feuerbach-Gesellschaft und seit 2012 Vorsitzender des Koordinierungsrates säkularer Organisationen (KORSO). Er war und ist in verschiedenen humanistischen Organisationen aktiv, aktuell u. a. in der Kortizes-Akademie für säkularen Humanismus.

Wie sich ein Kind aus seiner Religion herausdenkt – Nietzsches fundamentale Kritik am Christentum

Vortrag und Diskussion mit Prof. Dr. Hermann Josef Schmidt

4. Vortrag am Donnerstag, 23. November 2017, 19 Uhr
      in den Veranstaltungsräumen der GLS-Bank, Düsternstraße 10, 20355 Hamburg

„Ich gehe durch die Irrenhaus-Welt ganzer Jahrtausende, heiße sie nun ‚Christentum‘, ‚christlicher Glaube‘, ‚christliche Kirche‘, mit einer düsteren Vorsicht hindurch – ich hüte mich, die Menschheit für ihre Geisteskrankheiten verantwortlich zu machen. Aber mein Gefühl schlägt um, bricht heraus, sobald ich in die neuere Zeit, in unsre Zeit eintrete. Unsre Zeit ist wissend … Was ehemals bloß krank war, heute ward es unanständig – es ist unanständig, heute Christ zu sein. … Auch der Priester weiß, so gut es jedermann weiß, dass es keinen ‚Gott’ mehr gibt, keinen ‚Sünder‘, keinen ‚Erlöser‘ – dass ‚freier Wille‘, ‚sittliche Weltordnung‘ Lügen sind. … die Begriffe ‚Jenseits‘, ‚Jüngstes Gericht‘, ‚Unsterblichkeit der Seele‘, die ‚Seele‘ selbst: es sind Folter-Instrumente, es sind Systeme von Grausamkeiten, vermöge deren der Priester Herr wurde, Herr blieb … Jedermann weiß das: und trotzdem bleibt alles beim alten.“

So Nietzsche (1844-1900) über das Christentum. Und: „Um zu prüfen, ob jemand zu uns, zu den freien Geistern gehört oder nicht – so prüfe man seine Empfindung für das Christentum. Steht er irgendwie anders zu ihm als kritisch, so kehren wir ihm den Rücken: er bringt uns unreine Luft und schlechtes Wetter.“

Nicht erst in seinem „Antichrist“ postuliert Nietzsche sein starkes Nein zum Christentum – es durchzieht sein Denken bereits von Kindesbeinen an:  wie sich der Sohn des Pastorenhaushalts schon sehr früh in die Antike hinein und aus dem Christentum herausdachte, schildert uns der Ausnahme-Nietzsche-Kenner und Kurator der Giordano Bruno Stiftung Prof. Dr. Hermann Josef Schmidt: Dass Nietzsche noch kurz vor seinem Zusammenbruch erklärte, er wolle „das Christenthum vernichten“, mag zwar als Kuriosität gelten, doch dass im deutschen Sprachraum die Geschichte der Christentumskritik als vor und nach Nietzsches Streitschrift Der Antichrist. Fluch auf das Christenthum (Herbst 1888) datiert werden kann, dürfte kaum strittig sein.

Im Vortrag wird skizziert, dass Christentumskritik sich als Nietzsches „große Leidenschaft“ in immenser Kontinuität bei zunehmender Schärfe nicht nur durch sein gesamtes Œuvre zieht, sondern sich bereits in Texten des Kindes aufweisen lässt. So konnte sogar rekonstruiert werden, wie und warum sich schon das Kind Nietzsche aus seiner heimischen Religion herauszudenken suchte. Vor allem Letzteres scheint noch immer eine ungeheure Provokation für diejenigen zu sein, die weiterhin „glauben“ wollen.”

Zur Person Prof. Dr. Hermann Josef Schmidt:

Hermann Josef Schmidt promovierte 1968 mit dem Thema Nietzsches Sokratesbild. Seit 1969 lehrt er in Dortmund, wo er sich an der PH Ruhr 1976 habilitierte und an der Universität Dortmund ab 1980 als Professor wirkt. 2004 verabschiedete er sich mit seiner „Abtrittsvorlesung“ Wollen Sie unter der Herrschaft von Ajatollas oder der Taliban, von Rabbinern oder des ‚Opus dei‘ leben? in den Ruhestand.

Seit 1962 Mitglied der Humanistischen Union, hat sich Hermann Josef Schmidt zeitlebens säkular engagiert und religionskritische Vortragsreihen organisiert.

Seit 1991 war Schmidt Initiator und Veranstalter des Dortmunder Nietzsche-Kolloquiums, dessen Vorträge und Ergebnisse zu einem Großteil in dem Jahrbuch Nietzscheforschung veröffentlicht wurden. Er ist weiterhin Mitherausgeber der Zeitschrift Aufklärung und Kritik der Gesellschaft für kritische Philosophie Nürnberg, Mitglied des wissenschaftlichen Beirats der Nietzsche-Gesellschaft, Mitglied des Beirats des Internationalen Bundes der Konfessionslosen und Atheisten (IBKA), des Kuratoriums und Beirats der Giordano Bruno Stiftung (seit 2004) und er ist Ehrenvorsitzender der Ernst-Ortlepp-Gesellschaft.

Besondere Interessengebiete: Aufklärung durch Philosophie-, Weltanschauungs- und Religionskritik, Antike, Nietzscheforschung.