Weil eine Kita mal „ohne“ feiern will:
Shitstorm um den Weihnachtsbaum

Im Hamburger Stadtteil Lokstedt wird wieder gewichtelt und geweihnachtet auf Deubel komm raus! In den Geschäften klingeln die Kassen mit „Kling-Glöckchen-kling“. Das Wochenblatt postet die Gottesdienste der umliegenden Stadtteile. Die Lokstedter Christ-König-Kirche lockt mit „Familiengottesdienst“, „Kinderchören“ und „Christvesper mit Musik“, die Petrus-Kirche mit „Krippenspiel“ und „Mitternachtsgottesdienst“. Das volle Programm! Von Säkularisierung und Entkirchlichung keine Spur. Okay, wie viele Leutchen dann tatsächlich kommen, ist noch nicht ausgemacht, aber Lokstedt ist in Vorweihnachts-Laune.

Ganz Lokstedt? Nein! Ein hochgequirlter Shitstorm versaut vor allem dem Mitarbeiter*innen-Team der Kindertagesstätte „Kita Mobi“ im Grandweg gerade mächtig die Stimmung. Der Skandal: Wie schon seit Jahren entscheidet das Team zusammen mit den Kindern jedes Jahr, ob vor dem Haus auch ein geschmückter Weihnachtsbaum leuchten soll. Dieses Jahr fiel die Entscheidung, wie schon siebenmal in den letzten zehn Jahren auf „ohne“.

Doch dieser Entscheid kam offensichtlich nicht überall gut an. Ungefragt ließ ein Spender in der Nacht heimlich einen geschmückten Weihnachtsbaum mit Geschenken im Vorgarten aufrichten. Die BILD-Zeitung sprang sofort zur Seite und berichtete prompt, begleitet von einem entsprechenden Idylle-Foto: „Als die Kleinsten Donnerstagmorgen in die Kita Mobi im Hamburger Stadtteil Lokstedt gebracht wurden, stand plötzlich ein Weihnachtsbaum im Garten. Daneben zahlreiche Geschenke. Dabei hatte die Kita-Leitung genau darauf verzichten wollen – „im Sinne der Religionsfreiheit.“ Und weiter: „Diese Überraschung freut sicher ganz, ganz viele Kinder – und sorgt eventuell für ein Umdenken bei der Kindergarten-Leitung …“.

Beim Kita-Team indes kam die übergriffige Handlung auf ihrem Gelände nicht gut an. Kurzerhand ließ es den Baum von seinem Gelände wieder abtransportieren und begründete seine Entscheidung gegen den Weihnachtsbaum in einem Brief an die Eltern, man wolle „kein Kind in seinem Glauben ausschließen“.

So weit, so gut, so normal. Doch was folgte, gleicht einem Skandal! Ein bundesweiter Aufschrei erschüttert die Republik. Eine Kita ohne Weihnachtsbaum! Aufregung, Empörung, Vorwürfe ohne Ende. Der Kita-Vorstand berichtet sogar von „massiven rassistischen Drohungen, persönlichen Beleidigungen, Anschuldigungen und Erpressungsversuchen“. Tenor: Man will uns Weihnachten vermiesen! Sie wollen die christlichen Traditionen verbieten! Cancel Culture! Linksgrüne Ideologen wollen die Demokratie abschaffen!

Sogar aus dem fernen Bayern schaltete sich eigens Ministerpräsident Söder ein und meldete sich zu Wort. Und die CSU, in Bezug auf die Hansestadt ja die einzige Partei mit Durchblick, schickte groß das Bild eines geschmückten Baums durch die Sozialen Medien mit den Schlagzeilen: „Im Sinne der Religionsfreiheit. Kita streicht Weihnachtsbaum – Eltern kritisieren ‚Cancel Culture‘. Zu Weihnachten gehört ein Christbaum“.

Klar, dass da auch die Hamburger AfD nicht lange auf sich warten ließ. Sie stellte, wird berichtet, unter dem Titel „Kindheit ohne Weihnachten“ eine Anfrage an den Hamburger Senat, ob denn die besagte Kita etwa „staatliche Landesmittel“ bezöge.

Das solchermaßen bedrängte und unter Druck gesetzte Hamburger Kita-Team versuchte sich mittlerweile zu erklären, man habe dieses Jahr gemeinsam gegen einen Baum entschieden, aber doch zusammen mit den Kindern die Gruppenräume geschmückt, Adventskalender gebastelt, Kekse gebacken und sogar Wichtel aufgestellt. Mit einem Brief wandte sich als Träger die ausdrücklich religiös ungebundene „Stiftung Kindergärten Finkenau“ an die Eltern und verteidigte sich, die aktuellen Presseberichte, die unterstellten, die Kita Mobi würde christliche Traditionen abschaffen, „sind falsch“. Und weiter: „Unsere Einrichtungen sind in erster Linie frühkindliche Bildungsstätten, ähnlich wie die Schulen. Im Sinne des Bildungsbereichs soziale und kulturelle Umwelt (Hamburger Bildungsempfehlungen für Kitas), lernen die Kinder neben den christlich geprägten Festen auch andere kulturelle Gepflogenheiten kennen. Dies sollte für eine weltoffene Stadt wie Hamburg selbstverständlich sein“. Und in einem Offenen Brief unterstützten das auch die gewählten Elternvertreter der Lokstedter Kita: „Die Auffassung der Elternvertreter*innen ist, dass die Kita Mobi für kulturelle Vielfalt, Diversität und religionsübergreifende Gemeinschaft steht.“

Der ganze Shitstorm rund um den Weihnachtsbaum ist aus säkularer Sicht geradezu possierlich. Mit dem Tannenbäumchen scheint der christliche Glaube zu stehen und zu fallen. Rührend. Dabei, wer sich mit der Geschichte dieses religiösen Symbols beschäftigt, erkennt leicht die anmaßende Übernahme der weitaus älteren paganen Bedeutung durch die christliche Obrigkeit. Gleichwohl steht das Bäumchen heute für den herzergreifenden Weihnachtsmythos wie für Ostern die bemalten Hasen-Eier. Was Wunder, dass auch die Klima-Aktivisten sich dieses Symbols auf ihre Weise bemächtigen, etwa in Berlin. Und die BILD darf schäumen: „Nächste Eskalation der Klima-Radikalen“. „Klima-Chaoten-Alarm“. „Wieder Attacken auf unsere Weihnachtsbäume!“ „Diesmal wurden Weihnachtsbäume beschmiert parallel in sieben Städten“.

Mit oder ohne: Fröhliche Freinachten!