Was ist Leben

Was ist Leben? Die fünf Antworten der Biologie
Paul Nurse
Erscheinungsdatum 16.08.2021, ISBN 978-3-351-03888-5

Paul Nurse erhielt den Nobelpreis dafür, gezeigt zu haben, wie lebende Zellen funktionieren. In seinem so klar wie elegant verfassten Buch synthetisiert er auf wenigen Seiten sämtliches Wissen darüber, was es heißt, am Leben zu sein.
Schritt für Schritt erläutert Nurse die fünf revolutionären Ideen, die der Biologie zugrunde liegen – die Zelle, das Gen, Evolution durch natürliche Selektion, das Leben als Chemie und das Leben als Information.


Vorwort
Was ist Leben? – so ein Buch hat schon Erwin Schrödinger 1944 geschrieben.
Es ging ihm um Verständnis der Vererbung.
Wie Lebewesen Generation für Generation in einem Universum, das sich nach dem Zweiten
Hauptsatz der Thermodynamik unaufhaltsam in Richtung von Unordnung und Chaos entwickelt, eine so eindrucksvolle Ordnung und Gleichförmigkeit bewahren können.

Die Zelle. Das Atom der Biologie
1665 hat Robert Hooke gesehen, dass die Korkrinde aus unzähligen Reihen von Hohlräumen bestand, die von Wänden umschlossen waren – cella, »Kammer« oder »Stübchen« hat sie genannt.
Anton van Leeuwenhoek hat kurz später „Tierchen“ entdeckt – Bakterien.
„Organismen sind aus Zellen gebaut – jede Zelle ist eine eigenständige Lebensform.“ – das ist die Zelltheorie, um die Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden.
Wie Zellen entstehen? Durch Zellteilung.
Das cdc2-Gen (von Nurse bei Hefen entdeckt) ist der Zellzyklusregulator.
Obwohl Hefe und Menschen vor 1,5 Milliarden Jahren einen gemeinsamen Vorfahren haben, ist das menschliche cdc2-Gen auch in der Hefezelle funktionsfähig.
Es ist unglaublich, wie tief wir mit allem Leben auf der Erde verbunden sind!

Das Gen. Auf dem Prüfstand der Zeit
Gregor Mendel entdeckte die Regeln der Vererbung, weil er mit mehr als 10 000 verschiedenen Erbsenpflanzen experimentierte. Bei großen Stichproben ist es wahrscheinlicher, dass sich wichtige Muster zeigen. In den Schulbücher sind fast immer nur zwei Erbsenblüten mit zwei folgenden Generationen dargestellt.
Anzahl der Chromosomen in Zellen ist sehr unterschiedlich –
Erbsenpflanzen :14 , Menschen :46 , Schmetterling > 400. Der Spulwurm hat nur 4 – die können unter dem Mikroskop gut gezählt werden und so konnte bewiesen werden, dass in Eizelle und Samenzelle sich jeweils die Hälfte der Chromosomen befindet – eine Bestätigung der Mendelschen Regeln.
DNA einer menschlichen Zelle hat eine Länge von > 2 m.
DNA aus allen Zellen hat eine Länge von 20 Milliarden km ~ 8 Lichtstunden

Evolution durch natürliche Selektion. Zufall und Notwendigkeit
1802 kam der Geistliche William Paley mit einer „einleuchtenden“ Analogie – „Eine Uhr ist so zweckmäßig konstruiert, dass sie bestimmt von einem Uhrmacher konstruiert wurde. Genauso ein Lebewesen muss von einem Schöpfer entworfen sein.“
Die wissenschaftliche Antwort – Evolution kann es auch.
Darwins Großvater Erasmus Darwin war ein begeisterter Anhänger der Evolution.
Sein Motto: »E conchis omnia« – »Alles aus den Muscheln«

Leben als Chemie. Ordnung aus dem Chaos
Chronologie der Entdeckungen:
Vitalismus – die Annahme, dass das irdische Leben von geheimnisvollen Kräften gelenkt wird, über die nur Lebewesen verfügen.
Antoine Lavoisier entdeckt die Fermentation (er wurde 1794 nach einem Schauprozesses geköpft. Der Richter: »Die Republik braucht keine Gelehrten und Chemiker.«).
Louis Pasteur : »Chemische Reaktionen sind eine Lebensäußerung der Zelle.«
Enzyme sind Katalysatoren – entscheidend ist ihre dreidimensionale Struktur.
(Apropos Katalyse – mit Chemie-Nobelpreis 2021 wurden Benjamin List und David MacMillan für Organokatalyse ausgezeichnet.)
Mitochondrien – die Kraftwerke der Zellen – produzieren die ATP (Adenosintriphosphat) Moleküle (Batterien) mit Hilfe molekularen Turbinen, die durch strömende Protonen angetrieben werden.
Alle Zellen des menschlichen Körpers produzieren gemeinsam pro Tag ATP in einer Menge, die dem Körpergewicht entspricht.

Leben als Information. Als ein Ganzes funktionieren
Daten zu sammeln ist wichtig, aber wichtiger ist zu verstehen, wie alles zusammenwirkt.
Information nimmt einen zentralen Platz in der Existenz eines lebenden Organismus ein.
Sie ist die Vorlage für ein zweckmäßiges Handeln der Organismen.
Die Komplexität der Biologie führt zu seltsamen und kontraintuitiven Erklärungen und Biologen werde noch mehr Unterstützung von Wissenschaftlern aus anderen Disziplinen brauchen – etwa von Mathematikern, Computerwissenschaftlern, Physikern und sogar von Philosophen, die mehr Übung im abstrakten Denken haben und weniger auf die alltägliche Erfahrung in der vertrauten Welt ausgerichtet sind.

Die Welt verändern
Aus unserem Verständnis der chemischen und informationellen Grundlagen des Lebens erwächst die zunehmende Fähigkeit, das Leben nicht nur zu verstehen, sondern auch in die Lebensfunktionen einzugreifen.
Es bringt mit sich große Hoffnungen und Gefahren.
Genaue genetische Vorhersagen für Gesundheitsprobleme stellen Gesundheitssysteme mit persönlichen Krankheitsversicherungen vor erhebliche Probleme.
Die Versuche, gentechnisch veränderte Pflanzen (Golden Rice) und Nutztiere mit verbesserten Eigenschaften zu entwickeln, wurden häufig abgeblockt.
Die Photosynthese – außerhalb der Grenzen von Zellen – in industriellem Maßstab zu nutzen, könnte bei der Bekämpfung des Klimawandels helfen.
Debatten über das Gemeinwohl müssen sich an Wissen, Evidenz und rationalem Denken
orientieren, nicht an Ideologie, unbelegten Überzeugungen, Gier oder politischem Extremismus.

Was ist Leben?
Frühere Antwort: Bewegung, Atmung, Reizempfindlichkeit, Wachstum, Reproduktion,
Ausscheidung und Nahrungsaufnahme.
Es ist eine Aufzählung dessen, was lebende Organismen tun, aber es ist keine befriedigende Erklärung dessen, was Leben ist.
Erwin Schrödinger beendete sein Buch „Was ist Leben?“ mit einer These, die fast an Vitalismus grenzt: Um Leben wirklich zu erklären, brauchten wir möglicherweise ein physikalisches Gesetz neuer und noch unentdeckter Art.
Damit ist Paul Nurse nicht einverstanden. Seine drei Prinzipien zur Definition des Lebens lauten:

  1. Die Fähigkeit, mittels der natürlichen Selektion zu evolvieren.
  2. Lebensformen sind abgeschlossene, physische Gebilde.
  3. Lebewesen sind chemische, physikalische und informationsverarbeitende Maschinen. Sie stellen ihren eigenen Stoffwechsel her, mit dessen Hilfe sie sich am Leben erhalten, wachsen und reproduzieren. Diese lebenden Maschinen werden durch die Verarbeitung von Information koordiniert und reguliert, mit dem Erfolg, dass Lebewesen als zweckmäßige Ganzheiten operieren.

Die einzigen wirklich unabhängigen und ungebunden Lebewesen sind möglicherweise nur die Cyanobakterien (Blaualgen) und Archaeen, die auf hydrothermalen Tiefseeschloten leben. Sonst sind alle Lebensformen auf unserem Planeten voneinander abhängig.
Eine gute Gelegenheit innezuhalten und etwas gründlicher darüber nachzudenken, wie sich die Tätigkeit des Menschen auf den Rest der lebendigen Welt auswirkt.
Soweit wir wissen, sind wir Menschen die einzige Lebensform, die diese tiefe Konnektivität
erkennen und darüber nachdenken kann, was das zu bedeuten hat. Damit wird uns eine besondere Verantwortung für das Leben auf diesem Planeten übertragen.

Allein die Definition dessen, was unter geistigen Eigenschaften wie abstraktes oder phantasievolles Denken, Selbstreflexion oder Bewusstsein zu verstehen ist, ist äußerst schwierig. Hier könnte ein Romancier, ein Dichter oder ein Maler helfen, die Grundlagen kreativen Denkens zu erläutern, emotionale Zustände deutlicher zu beschreiben oder der Frage auf den Grund zu gehen, was es letztlich heißt, zu sein.
Wir werden all unsere Vorstellungskraft und Kreativität nötig haben, um herauszufinden, wie Vorstellungskraft und Kreativität entstanden sind.

Das Universum ist unvorstellbar riesig. Nach den Wahrscheinlichkeitsgesetzen ist kaum davon auszugehen, dass angesichts der ungeheuren Ausmaße von Zeit und Raum Leben – auch empfindungsfähiges Leben – nur einmal entstanden sein soll.

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